Internatsgeschichten
Internatsgeschichten

Ein Tag im Internat

Wolltet ihr schon immer einmal wissen, wie es ist, fünf Tage die Woche ohne Eltern auskommen zu müssen? Wir Internatler können euch darüber eine Menge erzählen. Natürlich gibt es dabei wie bei allem im Leben so seine Vor- und Nachteile, aber seht selbst.

Während die meisten unserer Mitschüler sich schon längst auf dem Schulweg befinden drehen wir uns nämlich noch einmal gemütlich um, bevor wir, je nach Stressfaktor und Stimmungslage der Nachtschicht, sanft oder eher unbarmherzig geweckt werden. Seit der Fusion gibt es in der Regel drei Weckzeiten, unter denen gewählt werden kann, 6:00, 6:30 und 7:00. An dieser Stelle muss auch mal erwähnt werden, dass im Internat schon lange, bevor in Grimma überhaupt jemand das Wort Fusion auch nur in den Mund genommen hat, Seumianer untergebracht waren und über diese hinaus auch jedes Jahr Azubis oder Schüler des BZS’s, die sich meist sehr gut in die Gemeinschaft einfügen, hier eine Bleibe finden.

Nach dem Wecken hat dann jeder so seine eigenen Gewohnheiten. Da gibt es die einen, die für ihre Körperpflege und -dekoration eigentlich eine halbe Stunde eher aufstehen müssten, bei anderen stellt sich die Frage, ob, gemessen an der Aufenthaltszeit im Bad, die Zahnbürste heute wohl wieder ein paar Runden weniger drehte. Na und dann gibt es noch Spezialisten, die im Bad Alleinunterhalter spielen, dabei wild rumgestikulieren und mit dem Spiegel sprechen. Es gibt aber auch diejenigen, die ihren Schönheitsschlaf auf Kosten der Hygiene so weit ausdehnen, dass sie es meist nur gerade so zum Unterricht schaffen. So mancher Lehrer wird sicher eine Anekdote hierzu beisteuern können.

Doch nach dem Aufstehen gibt es erstmal Frühstück: Zu einem geringen Preis bietet die Firma Spalteholz ein ausgiebiges Buffet an, da ist für jeden etwas an Wurst, Käse oder Müsli dabei. Wer hier zu spät aufsteht ist selber schuld, wenn seine Lieblingswurstsorte nicht mehr vorhanden ist; schnell sein lohnt sich also.

Nachdem es dann endlich alle in ihren Unterricht geschafft haben, verläuft der Schulalltag für uns Internatler zu meist genauso wie der unserer „externen Mitschüler“. Vorteil für uns: Wir können vergessene Schulmaterialen mal schnell holen gehen, sofern wir am Stammhaus unterrichtet werden, und die Möglichkeiten der Freistundengestaltung sind natürlich auch viel größer, wenn man im Schulhaus wohnt. Da kann man sich gegebenenfalls auch noch mal ins Bett legen oder ein zweites Frühstück einnehmen.

Am Nachmittag nach der Schule pulsiert das Internatsleben dann erst so richtig. Viele gehen gemeinsam bei diversen Asia-, Imbiss-, Pizza- oder Dönerbuden, in denen sie schon zur Stammkundschaft gehören, essen. Aber auch im Internat steht für uns eine Kochecke, für die unsere Internatsleiterin Frau Franken den Namen „Hobbyküche“ geprägt hat, bereit. Hier kommen nicht nur die Jüngeren unter uns das erste Mal mit Herdplatte und Kochlöffel in Berührung. Auch wenn gerade die männlichen Mitbewohner Mikrowelle, Backofen und Wasserkocher besonders intensiv für ihre Tiefkühl- und Tütenkost nutzen, hat man hier schon so manchen „Kochkurs“ miterleben dürfen. Da wurde dann geklärt, dass man Spaghetti nicht abschneiden muss, um sie in den Topf zu bekommen, dass der Herd schon an sein sollte, wenn man was drin backen will und, dass ¾ l auf einer Tütensuppen für 2-3 Portionen nicht drei bis vier Liter bedeuten kann. Der Klassiker im Internat, der eigentlich jede Woche mehrmals auf den Herd kommt ist - na, wer hätte es gedacht? – Die Nudel.

Zur sportlichen Betätigung stehen uns Tischtennisplatte, Billardtisch, Dartscheibe und Kicker stets zur Verfügung. Wer will, kann außerdem nachmittags ins Stadion zum Fußballspielen gehen. Für die Musen unter uns gibt es eine eigene kleine Musikkammer und einen Flügel. Die zwei bis drei Stunden, die wir gegenüber den „Externen“, die mit Bus und Bahn anreisen, täglich gut machen, werden auch gerne für vielfältige AG-Tätigkeiten innerhalb und außerhalb der Schule genutzt. Nicht nur für schulische Zwecke gibt es hier einen Computerraum mit vier Rechnern inklusive DSL-Zugang.

Punkt 17:00 haben sich dann alle an ihrem Schreibtisch zu befinden und zu arbeiten. Dann heißt es nämlich wie jeden Tag Silentium. Dieses Wort ist eine Tortur in unseren Ohren! Für alle „Nichtlateiner“: Silentium heißt übersetzt Ruhe. Aber für uns heißt es eineinhalb Stunden im Zimmer ausharren, ständig der Angst ausgesetzt, jemand kommt kontrollieren und erwischt uns beim entspannen. Nein, ganz so schlimm ist es natürlich nicht! Uns ist einfach nur aus Gründen der Kontrollierbarkeit und des Überblicks die Freiheit genommen die Hausaufgaben dann zu machen, wann wir es gerne hätten. Aber man gewöhnt sich sehr schnell daran, wenn man hier lebt, und es schafft eine gewisse Regelmäßigkeit, die uns schulisch sowie im allgemeinen Tagesablauf überhaupt allen weiterhilft. Und natürlich kann man mit einer guten Begründung auch mal das Silentium verlegen, wenn man nicht gerade was ausgefressen hat.

Da das Lernen hungrig macht, trifft man sich nach den anderthalb Stunden stillen Sitzens im Speisesaal zum Abendbrot. Auch hier steht für uns wieder für wenig Geld eine große Auswahl bereit, bei der immer etwas Warmes dabei ist. Während des Essens werden viele Neuigkeiten ausgetauscht und Verabredungen für den Abend getroffen. Bei dessen Ausgestaltung sind die beiden Fernsehräume sehr beliebte Objekte der Begierde. Regelmäßig finden sich hier kleinere Fangemeinden ein, die ganz bestimmte Serien verfolgen und nur ungern eine Folge verpassen. Des Öfteren werden auch DVDs oder Videos angeschaut. Direkt neben der Höhle des Löwen, dem Dienstzimmer, findet sich außerdem noch ein ganzer Schrank voll mit Gesellschaftsspielen, die zur Nutzung bereit stehen.

Damit die besonders aktiven „Insassen“ unter uns hier auch auf ihre Kosten kommen und uns nicht durch zu wenig Auslauf die Einrichtung zerlegen, geht es bis zu dreimal die Woche beim Internatssport in die anliegende Sporthalle. Montag ist Volleyball angesagt, Dienstag und Donnerstag erst Zwei-Felder-Ball für die Kleineren und dann Fußball für die Größeren. Vor allem beim Fußball muss sich unsere Aufsicht besonders vor gefährlichen Geschossen hüten. Die ist dann besonders froh, wenn es zu heiß für die Halle ist und die Fußballer auf den Hartplatz müssen, denn da werden schon mal Kräfte frei, von denen keiner gedacht hätte, dass sie überhaupt existieren und von ausgerenkten Schultern bis hin zu zersprungenen Fingerknochen hat unsere meist viel zu kleine Turnhalle schon alles miterlebt. Sowieso ist diese Veranstaltung für manche zu einem festen Bestandteil der Woche geworden, ohne den sie unerträglich werden können und ihre überschüssigen Kräfte woanders sinnlos walten lassen müssen. Für eben diese Exemplare ist es besonders bitter, wenn mal nicht genügend Spieler zusammen kommen und der Sport deshalb ausfallen muss. Diese Kameraden sind es übrigens auch, für die es beim Fußball um Leben und Tod geht und die im Falle eines Rückstandes anfangen ihre Mitspieler der Unaufmerksamkeit zu bezichtigen und nervös gegen die Wand schlagen. Andere hingegen gehen regelmäßig im Stadtwald direkt gegenüber Joggen. Tradition geworden sind im Internat ebenfalls das alljährliche Halloween-Fest sowie die Novex-Fete, bei der die Neulinge Mutproben übernehmen, um offieziell ,,aufgenommen“ zu sein.

In Sachen Selbstständigkeit bekommt man hier im Internat auch sehr viel mit auf den Weg. Da lernen die Kleinen nicht nur ihren Ranzen endlich ganz alleine zu packen und sich selbst zu beschäftigen, auch fürs Schulische lernt man hier einiges dazu. Öfter helfen die Älteren den Jüngeren mal, wenn sie etwas nicht verstehen. Und überhaupt wird man ein anderer Mensch, wenn man sich schon von der 5. Klasse an den Tag selbst planen und gestalten muss und die Mutter nicht mehr über alles Bescheid weiß. Natürlich sind unsere Erzieher stets wachsam, doch müssen sie das im Gegensatz zur eigenen Mutter daheim für rund 50 Schützlinge sein. Auch beim Zimmerputz herrscht Selbstständigkeit. Da wurde schon so manchem Haushaltsfeind beigebracht wie man mit Staubsauger und Lappen umgeht, denn donnerstags heißt es:„putzen, saugen und Müll rausschaffen!“. Besonders beim Duschen und Putzen, wenn also die Akustik vortäuscht man würde nicht gehört, kann man beim Ohrenspitzen immer wieder ungeahnte Gesangskünste bestaunen.

Am Ende des Tages kommt für uns alle irgendwann einmal die Zeit der Nachtruhe. Zuvor trifft man die anfangs erwähnten Spezialisten wieder im Bad beim Selbstgespräch mit dem Spiegel an und es wurde sich intensiv darüber gestritten, ob das große Licht nun im Bad an bleibt oder nicht. Da gibt es die einen, die meinen man könnte sie durchs Fenster beobachten, die anderen, die als Vorwand das Stromsparen wählen und die letzten, die im Dunkeln schlecht sehen können und sich auch nicht im Halbdunkel duschen wollen. Aber irgendwann ist jeder Streit vorüber und je nach Alter gestaffelt (20:00, 21:00, und 22:00) finden sich alle Internatler in ihren Betten ein. Eine halbe Stunde zuvor hat man in der Regel im Haus zu erscheinen. Doch bei wichtigen oder besonderen Anlässen bekommt man schon mal Sonderausgang, vor allem dann, wenn man ganz lieb war, schon etwas älter ist und gut auf sich selbst aufpassen kann.

Übrigens hat unser Internat stets nur von Sonntagabend 19:30 Uhr bis Freitagnachmittag 16:30 geöffnet und an Feiertagen und in den Ferien überhaupt nicht. Wäre das anders würden die ca. 50 Internatsplätze niemals ausreichen und die Stadtverwaltung, die ja Träger des Internats ist, könnte sich vor Anfragen von weiter weg kaum retten. Doch so kommen unsere entferntesten Internatler jede Woche aus Thüringen hergependelt.

Wie ihr nun sicher mitbekommen habt lässt sich doch behaupten, dass so ein Internatsleben den Menschen positiv beeinflusst. Vielleicht seid ihr ja nun neugierig geworden und schaut einfach mal vorbei.

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